Stellungnahme der BAGFW zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 20/7352

Finanzierung der Betreuungsvereine und der Betreuer sicherstellen – Strukturen erhalten

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme. In unserem Verbund sind ca. 600 Betreuungsvereine, sowie ca. 140 vormundschaftsführende Vereine aktiv. In den Arbeitsfeldern Altenhilfe, Behindertenhilfe, Sozialpsychiatrie und Kinder- und Jugendhilfe mit ihren zahlreichen Diensten und Einrichtungen erfahren Menschen Beratung, Begleitung und Unterstützung.

Die Rechtliche Betreuung betont mit der Reform des Betreuungsrechts zum 01.01.2023 das Unterstützungsinstrument für volljährige Menschen, welche aufgrund von Erkrankung oder Behinderung nicht mehr in der Lage sind, ganz oder teilweise ihre rechtlichen Angelegenheiten selbst zu besorgen. Rechtliche Betreuung stärkt das Selbstbestimmungsrecht betreuter Menschen. Die Ermittlung und Befolgung der individuellen Wünsche ist hierbei handlungsleitend. Die Ermittlung eben dieses Willens und der Wünsche erfordert neben entsprechendem Einfühlungsvermögen insbesondere der Person zugewandte Zeit. Die Unterstützte Entscheidungsfindung ist hierbei ein hilfreiches Instrument. Sie unterstützt die Menschen bei der Selbstwahrnehmung und Formulierung ihrer Wünsche.

Die Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes im Betreuungsrecht war seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) überfällig.
Grundsätzlich hat die BAGFW die Gesetzesreform begrüßt. Viele zentrale Aspekte, Gesprächsergebnisse und Forderungen aus dem Diskussionsprozess zum Betreuungsrecht im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) wurden aufgegriffen. Dieser beeindruckende Prozess der Beteiligung von Betroffenen, Fachleuten und Akteuren des Betreuungswesens ist in den neuen Regelungen deutlich geworden.

Betreuungsvereine sind, entlang ihrer gesetzlichen Aufgaben nach §15 Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG) kompetenter Ansprechpartner für eine Vielzahl ehrenamtlich rechtlicher Betreuer:innen. Diese erfahren dort erste Orientierung, Beratung zum individuellen Betreuungsfall und qualifizierte Schulung zu Fachthemen rund um das Betreuungsrecht. Ehrenamtlich rechtliche Betreuer:innen werden gestärkt und fühlen sich dadurch in die Lage versetzt dieses verantwortungsvolle Amt mit seinen komplexen Anforderungen (zum Beispiel: Berichtswesen, Genehmigungspflichten, …) über die Rolle des/der Angehörigen/ Vertrauensperson hinaus, auszuüben.
Betreuungsvereine sind systemrelevante Akteure bei der Sicherstellung der Qualität der ehrenamtlichen Betreuung.
Betreuungsvereine beschäftigen darüber hinaus selbst Mitarbeitende und führen Rechtliche Betreuung für Menschen, bei denen Angehörige/ Vertrauenspersonen nicht zur Verfügung stehen oder die Komplexität des Falles einen qualifizierten Berufsbetreuer:in erfordert.

Die finanzielle Situation der Betreuungsvereine fußt auf zwei Säulen, die schon von Gesetzes wegen völlig unabhängig voneinander zu betrachten sind. Während die Voraussetzungen für die Finanzierung der Querschnittstätigkeiten durch Landesrecht geregelt werden (§17 BtOG) bemisst sich die Vergütung für das Führen von Betreuungen nach dem Bundesgesetz Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG).

Die Finanzierung der Querschnittsaufgaben gestaltet sich in Monat 9 nach In-Kraft-Treten der Betreuungsrechtsreform sowohl in der Geschwindigkeit als auch in der inhaltlichen Ausgestaltung sehr unterschiedlich. Teilweise sind gute Regelungen getroffen worden. Trotz des gesetzlichen Anspruches auf bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln (§17 BtOG) erkennen einige Länder die aus dem reformierten Betreuungsgesetz erwachsenden Anforderungen nicht an oder die Beratungen/Ausgestaltungen/Verhandlungen stecken fest. Einige Betreuungsvereine nehmen seit Monaten gesetzliche Aufgaben ohne eine (ausreichende) Refinanzierung wahr. Auf diese Weise droht die Betreuungsrechtsreform kaputt gespart zu werden, bevor sie für die betroffenen Menschen Wirkung entfalten kann. Hier müssen die Länder, die es noch nicht getan haben, handeln und sollten – wie auch von der Unionsfraktion gefordert – nicht bis zur Evaluation der Vergütungsstruktur auf Bundesebene warten.

Das VBVG regelt die Vergütung für das Führen von Rechtlichen Betreuungen durch hauptamtliche Mitarbeiter:innen nach einem komplexen pauschalen Abrechnungssystem.

Die Betreuervergütung wurde letztmalig 2019 nach 14 Jahren überschaubar angepasst. Bereits im Jahr 2019 war klar, dass bis zum Ergebnis des im Gesetz vorgemerkten Evaluierungsprozesses der Betreuervergütung diese Erhöhung nicht kostendeckend, wenn nicht sogar defizitär ist.

Viele unserer Betreuungsvereine richten ihre vertraglich vereinbarte Vergütung am TVöD aus. Das bedeutet, dass sie nicht nur die vom Gesetz abzudeckenden Tarifsteigerungen ab 2024, sondern mangels einer Dynamik im VBVG bereits seit 2022 die seither vereinbarten Steigerungen innerhalb des TVöD zusätzlich, d.h. aus Eigenmitteln, finanzieren mussten. Hierfür haben viele Betreuungsvereine bereits in der Vergangenheit ihre Reserven eingesetzt und mittlerweile ihre finanziellen Spielräume vollständig ausgereizt. Der bereits eingetretene Substanzverlust in der Liquidität der Vereine macht es ihnen nicht möglich, auch die für das Jahr 2023 vorgesehenen substanziellen TVöD-Leistungen zu finanzieren. Darüber hinaus wird die im Jahr 2024 zu erwartende Inflationssteigerung im Gesetzesentwurf gar nicht berücksichtigt. Dies unterstreicht auch die Forderung der Unionsfraktion. Hierdurch steigt die Insolvenzgefahr von Betreuungsvereinen weiter an, was die Versorgungssicherheit sowohl bei Betreuungen als auch hinsichtlich der wichtigen Unterstützung der ehrenamtlich rechtlichen Betreuer:innen gefährdet.

Wie vom Antrag der Unionsfraktion hervorgehoben verschärft sich die aktuelle hochangespannte finanzielle Situation der Betreuungsvereine durch die Einführung des Bürgergeldes und der Anhebung der Schonvermögensgrenzen nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 der VO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII. Die BAGFW begrüßt diese Erhöhung, allerdings bewirkt diese Ausweitung der Schonvermögensgrenze, dass sich die Höhe der Vergütungsansprüche entlang der Tabellenwerte für mittellose Betreute mindert. Das Konzept der Mischkalkulation war bereits in den vergangenen Jahren nicht ausgewogen und gerät nunmehr in eine massive Schräglage.

Die anstehende Evaluation der Betreuervergütung sollte genutzt werden, das VBVG grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen und die unterschiedlichen Parameter darauf hin zu prüfen, ob diese noch zeitgemäß sind und eine tatsächliche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ermöglichen. Die mit den vergangenen Änderungen des VBVG verbundenen Erwartungen einer Kostenreduktion für die Landesjustizhaushalte konnten nicht erreicht werden. Jedoch wurde hierdurch die Erosion der Betreuungsinfrastruktur vor Ort vorangetrieben. Von dieser Entwicklung waren Betreuungsvereine besonders betroffen.

Der Wegfall der Betreuungsvereinsstrukturen hätte zur Folge, dass die betreuten Menschen von der kommunalen Betreuungsbehörde betreut werden müssten. Diese haben hierfür keine personellen und finanziellen Ressourcen, da sie diese Leistungen nicht mit den zuständigen Gerichten abrechnen können. Dieses führt zu einer zusätzlichen, nicht refinanzierten finanziellen Belastung der Kommunen und belastet deren angespannte Haushalte zusätzlich. Hinzu käme, dass eine Vielzahl ehrenamtlich rechtlicher Betreuer:innen ohne Beratung und Begleitung vermutlich ihr Amt niederlegten und dass die von ihnen betreuten Menschen ohne Unterstützung blieben.

Das am 1.1.2023 in Kraft getretene Betreuungsrecht erfordert, dass der Wille der zu betreuenden Person zum zentralen Orientierungsmaßstab in der rechtlichen Betreuung wird.

Die Wahrnehmung der unterschiedlichen Aufgaben der Betreuungsvereine muss auskömmlich finanziert werden, daher ist eine unverzügliche Anpassung der Betreuervergütung notwendig, um eine flächendeckende Insolvenz der Betreuungsvereine zu verhindern.